Donnerstag, 10. Februar 2011

Umzug

Ich bin am 10.02.11 umgezogen auf http://michaela-egli.com

Montag, 7. Februar 2011

Raus aus Facebook - Abschied vom Nichtabschied

Nach meinem Glaubensbekenntnis ist es nun vielleicht möglich, den letzten Teil dieser Strecke ohne grosse Argumentation zu formulieren, sondern in der einfachen assoziativen Form, wie diese Gedanken vor ziemlich genau einem Jahr zum ersten Mal in mir aufgetaucht sind.



Facebook sprengt Grenzen. Die räumlichen. Jeder Mensch auf dieser Welt, einmal getroffen, kann potentiell mein Freund sein, ständig präsent, mit seinem Leben da, wo ich bin. Facebook bringt deine Freunde dorthin, wo dein Leben ist. 

Facebook sprengt Grenzen. Die zeitlichen. Die Menschen, die vergangenen Menschen dieser Welt können meine Freunde sein – mein Facebook-Leben lang, ständig präsent, mit ihrem Leben da, solange ich bin. Facebook bringt deine Freunde dahin, wann dein Leben ist. 

Facebook sprengt Grenzen. Die zufälligen. Einmal getroffene Menschen, in die FB Datenbank eingetragen, rauben sie dem Zufall seine Macht, ob man sich wieder sieht oder nicht. Nehmen uns die Entscheidung ab, ob man jemanden wieder sehen will oder nicht, machen ihn unverbindlich potentiell erreichbar – jederzeit und überall.

Dank Facebook können wir nicht nur überall in der Welt, sondern auch durch die ganze Zeit unseres Lebens nach gesehenen, getroffenen und verlorenen Menschen suchen, sie finden und festhalten. Entfernte Freunde werden zu nahen Freunden und bleiben es. Alte Freunde werden zu neuen Freunden und bleiben es. Die Nummer ist weg, wurde nicht erfragt, verloren, Adressbuch vergilbt, unleserlich, der Zug ist abgefahren. Facebook macht‘s möglich, diesen Zug irgendwo auf der Welt wieder aufzuspüren, ihn einzuholen und aufzuspringen. Die netten Menschen aus dem Ausland kommen in mein Zuhause. Ein dynamisches Abziehbild ihres Lebens bleibt für immer mein. 

Facebook komprimiert die Ferne, die Nähe, die Vergangenheit und die Gegenwart auf eine Internetseite. Natürliche Grenzen sind keine mehr. Der ganze Raum, die ganze Zeit drängt sich in jeden verfluchten Tag unseres Lebens. 

Kann das gut gehen??

Wie gesund ist es, die ganzen Bekanntschaften dieser weiten Welt täglich mit sich herum zu schleppen? Wie gesund ist es, die ganzen Bekanntschaften dieses Lebens in der Gegenwart zu horten? Muss man nicht auch einfach mal loslassen können? Der Vergangenheit übergeben, was ihr gehört, dem Zufall überlassen, was er bestimmen sollte? Ins Flugzeug steigen und die netten Menschen aus dem Ausland dort lassen wo sie sind, als Nichtteil des eigenen Lebens? Im Leben weiter ziehen und alte Freundschaften als das belassen, was sie sind – eben alt?
Facebook wird zum Sammelsurium unserer Erinnerungen. Für unsere Identitätsstiftung sind Erinnerungen unsäglich bedeutsam, sie schriftlich oder auch bildlich festzuhalten eine gute Möglichkeit unsere Identität zu festigen. Doch wie viel Erinnerung braucht der Mensch? Sollen Erinnerungen als lebende Bilder im Jetzt präsent sein? Und vor allem: Müssen Erinnerungen upgedatet werden? 

Ich hadere bei der Beantwortung all dieser Fragen. Mein Gefühl sagt mir, dass wir uns in eine komprimierte Vernetzung begeben, die uns im Moment zwar erfreuen mag, da sie Vieles erleichtert, uns aber in ferner Zeit zum Verhängnis wird, weil sie uns das Üben von essentiell menschlichen Fähigkeiten abnimmt, die für ein gesundes Leben erforderlich sind:

  • Den Mut jemanden anzusprechen.
  • Das Wagnis sich auf Unbekanntes einzulassen.
  • Das Vertrauen im Unkontrollierbaren zu finden.
  • Die Überwindung auch mal loszulassen.

Selbst wenn uns Facebook von nun an bis in alle Zeiten die ersten drei Punkte abnimmt und uns damit das Leben von nun an bis in alle Zeiten einfacher, von zu Hause aus regelbar macht, ohne dass wir dabei jetzt schon negative Auswirkungen bemerken, kommt in jedem Leben doch irgendwann der Tag, an dem es heisst: Abschied nehmen – und zwar für immer. Dann wird Facebook uns nicht mehr helfen können.
Wie soll der Mensch an jenem Tag «Leb wohl» sagen können, wenn er sich in alltäglichen, vergleichsweise einfachen Situationen nicht mehr darin üben kann und muss? Wenn wir uns irgendwann daran gewöhnt haben, das ganze Leben auf einer Internetseite zu horten? Wenn wir uns bei den netten Menschen aus dem Ausland, den Freunden aus der Vergangenheit nicht mehr üben müssen, uns nicht mehr überwinden müssen «Lebe wohl» zu sagen, wie soll der Mensch da gewappnet sein, wenn es keinen anderen Weg mehr geben wird?
Der Abschied für immer bringt uns an unsere menschlichen Grenzen – mit oder ohne Facebook. Grosse Teile unseres Verhaltens konzentrieren sich darauf, dieses Ereignis soweit als möglich in die Zeit voraus und in den Raum hinaus zu schieben, doch irgendwann werden all unsere Prothesen an ihre Grenzen kommen. Ich bin der Überzeugung, dass es Grenzen gibt, die wir akzeptieren müssen und dass es menschliche Fertigkeiten gibt, die wir erlernen müssen, auch wenn es im Augenblick gerade keinen Spass macht und es anders auch keine Konsequenzen zu geben scheint.

Ich fürchte mich vor einer Zeit, in der trauernde Menschen sich auf ihr Facebook-Profil einloggen und dem für immer verlorenen Menschen eine letzte Nachricht hinterlassen, im festen Glauben daran, dass sie ihn erreichen wird.

Freitag, 4. Februar 2011

Doch noch zur Glaubensfrage

 Mir wurde mir letzthin eine fehlende Medienkompetenz unterstellt, da mir FB so viele Probleme bereite. Darauf muss ich natürlich reagieren.

Die Probleme, die FB mir akut bereitet, sind definitiv gering. Einmal, und dieses eine Mal habe ich im letzten Beitrag erwähnt, und niemals zuvor und nicht mehr danach.
Abgesehen von den vielen Malen, als ich mich ärgerte, wenn ich im FB Chat angesprochen wurde und abgesehen von damals, als sich mein Fotoabend über Israel erübrigte, weil die Bilder schon auf FB eigesehen worden sind. (Seit da habe ich es vermieden Fotos online zu stellen, habe also schnell gelernt.)
Das Verständnisproblem meiner kritischen Betrachtung liegt gerade darin, dass  akut keine Problematik spürbar ist, mit Ausnahme der letzten Beispiele. Ich und auch kaum jemand sonst empfindet sein Leben als unglücklicher seit es FB gibt. 

Doch wenn man die meisten Beiträge auf diesem Blog über (m)ein spezifisches Menschenbild stülpt, wird die Problematik recht schnell recht gross. Mir ist bewusst, dass ich mit diesem Menschenbild ziemlich weit im Abseits stehe. Als unhaltbare Pessimistin bezeichnet, wenn ich über die populär Kultur wettere und als hoffnungslose Utopistin belächelt, sobald ich mich verteidigend über Dinge wie das Weltethos äussere. Und obwohl ich in der Erklärung über dieses Projekt geschrieben habe, dass ich über diese «Glaubensfrage» nicht streiten will, möchte ich nun doch einmal einen Versuch starten, mich, und damit auch viele meiner Beiträge, zu erklären.

Der bedeutendste Unterschied zwischen meiner und der (ich wage mal zu sagen) gängigen Betrachtungsweise des Menschen ist wohl der, dass ich den Status quo nicht als absolut ansehe und von ihm her ein Menschenbild für alle Zeiten definiere (das dann Attribute wie «egoistisch», «machthaberisch» oder «faul» beinhaltet), sondern mich an den positiven Ereignissen der Menschheitsgeschichte orientiere.

Die Rechtfertigung dahinter ist für mich einfach: Negative Ereignisse der Geschichte (allen voran der Zweite Weltkrieg) erschüttern uns zutiefst, während positive Ereignisse beinahe als selbstverständlich angenommen werden. Die Aufklärung, die Frauenbewegung, die Demokratisierung, die UNO,  um nur eine Auswahl zu bieten, lassen uns emotional kalt. Wäre der Mensch wirklich ein unbeschriebenes Blattpapier, das sowohl zum Schlechten als auch zum Guten bestimmt ist, müssten uns dann nicht die positiven Ereignisse genauso in emotionale Euphorie versetzten, wie die negativen uns erschüttern? Ich bin nicht der Ansicht, dass es gerechtfertigt ist zu sagen, dass der Zweite Weltkrieg so bedeutend mehr Elend gebracht hat, als die Demokratisierung uns Freiheit schenkte und doch sagt unsere emotionale Reaktion genau das. Zwar wird mit dieser Feststellung nichts darüber gesagt, was der Mensch tatsächlich ist und auch nicht zu was er fähig ist, doch sagt es ungemein viel darüber aus, was der Mensch will bzw. erwartet.
Wenn ich ein Geburtstagsgeschenk erwarte und es dann erhalte, ist die Freude darüber niemals so gross, wie der Ärger, wenn die Erwartung nicht erfüllt wird. Wenn ich erwarte eine Prüfung gut zu bestehen, wird die Freude über die gute Leistung niemals den Frust aufwägen, sollte ich meine Erwartung nicht erfüllen. Wenn unser Nachbar seine Frau nieder metzelt, ist die Erschütterung ungemein grösser, als unser empathisches Glück, wenn er sie ein Leben lang wahrhaftig liebt. Kommt diese Erwartungshaltung des Menschen an den Menschen aus dem Nichts? Ich behaupte nicht. 

Dass der Mensch zu Schlechtem fähig ist, hat er in der Geschichte unzählige Male bewiesen. Doch dass er zum Guten fähig ist ebenso und dass wir das Gute wollen, zeigt unsere emotionale Reaktion auf all diese Ereignisse. Warum also das Gute tun? – Weil wir es wollen. 

Einmal den Glauben an ein positives Menschenbild gefunden, eröffnet sich dem «Gläubigen» unvermeidlich ein Problem: Wenn der Mensch gut sein soll, woher kommt dann die Aggression, die Faulheit, die Machtgiererei? Warum all die negativen Ereignisse in unserer Welt? Woher der Facebook-Wahn? Und darauf gibt es nur eine Antwort: Die Struktur. (Und allen Strukturen voran der Kapitalismus) Sie wird zum Feind, den es zu bekämpfen gilt. Sie ist es, die dem Menschen in seinem Innersten zuwider läuft und uns in den Wahnsinn treibt, ohne dass wir es merken.
Wenn der Mensch das Gute tun will, aber es nicht tut, dann darum, weil er es nicht kann. Weil etwas (eine unsichtbare Hand) ihn an der Entfaltung seines Potentials hindert, ihn auf Abwege treibt und ihn zu kompensatorischen Mitteln greifen lässt. Wenn ich also so gerne an allem Kritik übe, dann aus dem ungebändigten Glauben, dass der Mensch zu mehr fähig ist, als er sich zutraut, dass der Mensch unentdeckte Ressourcen in sich trägt, die gestillt werden müssen, dass der Weg des geringsten Widerstandes uns am Ende grössere Probleme bereitet, als wir uns denken können. Bedeutend dabei ist die Annahme – der maslowschen Bedürfnispyramide zum Trotz – dass der Mensch nicht nur physische sondern auch psychische Grundbedürfnisse in sich trägt, die befriedigt werden müssen. Selbstverwirklichung, Identitätsfindung und Anbindung an die Welt sind nicht die letzten, sondern die aller ersten Bedürfnisse auf derselben Höhe mit Essen, Trinken und Schlafen. Wird der Mensch in der Befriedigung seiner zwingenden Bedürfnisse gehindert, beschafft er sie sich und dies mit allen Mitteln. 

Betrachtet man die Destruktivität, die in unserer Gesellschaft vorherrscht und geht dabei nicht davon aus, dass die Aggression an sich ein menschliches Bedürfnis ist, sondern einzig ein kompensatorisches Mittel (wie die Aggression ja auch in der Nahrungsbeschafftung nicht Selbstzweck ist), steht es um die Befriedigung unserer Grundbedürfnisse ziemlich schlecht.
Ganz rudimentär kann von dem Bedürfnis nach echter Identität oder auch von einem echten Bindungsbedürfnis ausgegangen werden (was doch wirklich nicht so abwegig ist), damit FB ziemlich schnell ins Visier der Kritik gerät. Welche Strukturen der populär Kultur heute dem guten Menschsein im Wege stehen und uns auf aggressive und zerstörerische Abwege bringen, ist die Frage, die mich herum treibt und die Ursache für meine FB Kritik. Es reicht hoffentlich, nur kurz zu erwähnen, dass die social media nur scheinbar, kompensatorisch, einen Beitrag zur Befriedigung solcher Bedürfnisse leistet. 

Abschliessend soll gesagt sein, dass ich wahrscheinlich tatsächlich nicht wahnsinnig medienkompetent bin, weil ich mir all diesen Kram überlege. Denn zum darüber Nachdenken sind Medien definitiv nicht gemacht.
Klar ist, dass der Glaube an die moderne Zeit und der Glaube an den guten Menschen sich ausschliessen. Die positive Einschätzung des Einen geht immer mit der negativen Bewertung des Anderen einher.  Unklar bleibt mir allerdings, warum so viele ZeitgenossInnen den gängigen Weg wählen. Wahrscheinlich weil es der einfachere ist. Bisher habe ich mich davor gehütet, anderen dieses Menschenbild aufzudrängen (man beginnt dann gleich immer alles so eng zu sehen), doch im Grundsatz ist es ein «Glaube», der einen in der Entfaltung des eigenen Potentials nur weiter bringen kann und weshalb ich doch einmal die aufdringliche Empfehlung abgebe, sich in diese Schriften einzulesen. Ganz unter dem Motto eines wunderbaren Musils Zitats:
«dass wahrscheinlich auch Gott von seiner Welt am liebsten im Conjunctivus potentialis spreche[…], denn Gott macht die Welt und denkt dabei, es könnte ebensogut anders sein.»

Und hier noch ein Auszug aus dem Nachwort «Über die Zwiespältigkeit der Hoffnung» in «Anatomie der menschlichen Destruktivität»

Sadismus und Nekrophilie – die bösartigen Formen der Aggression – sind dagegen nicht angeboren [wie auf den vorangehenden 480 Seiten gezeigt wurde]; daher können sie beträchtlich reduziert werden, wenn die gegenwärtige sozioökonomischen Bedingungen durch andere ersetzt werden, die der vollen Entwicklung der echten Bedürfnisse und Fähigkeiten der Menschen günstig sind: Der Entwicklung menschlicher Eigen-Aktivität und schöpferischer Kraft als Selbstzweck. Ausbeutung und Manipulation andererseits erzeugen Langeweile und Trivialität; sie verkrüppeln den Menschen, und alles, was den Menschen zu einem psychischen Krüppel macht, macht ihn auch zum Sadisten und Zerstörer.
[…]
'Ich bin optimistisch', was das Wetter betrifft. Ist jedoch mein Kind schwer krank und sein Leben in Gefahr, so würde es für sensible Ohren recht merkwürdig klingen, wenn ich sagte: 'Ich bin optimistisch', weil der Ausdruck in diesem Kontext gleichgültig und distanziert klingt. […] Was könnte ich dann aber sagen? Am passendsten wäre vielleicht, wenn ich sagte:'Ich habe den Glauben, dass mein Kind am Leben bleiben wird'. Aber 'Glauben' ist wegen seines theologischen Untertons heute ein fragwürdiges Wort. Trotzdem ist es immer  noch das beste, was wir haben, weil es etwas ungeheuer Wichtiges in sich schliesst, nämlich meinen leidenschaftlichen, intensiven Wunsch, dass mein Kind am Leben bleibt, weshalb ich alles nur Mögliche tun werde, um seine Genesung zu bewirken. Ich bleibe kein blosser Beobachter meinem Kind gegenüber, wie ich es wäre wenn ich nur 'optimistisch'wäre.
[…]
Der Optimismus ist eine entfremdete Form des Glaubens, der Pessimismus eine entfremdete Form der Verzweiflung.  Wenn man auf den Menschen und seine Zukunft echt reagiert, das heisst mit Besorgnis und mit Ver-antwortung, dann kann man nur mit Glauben oder mit Verzweiflung reagieren.[…]
Die meisten Menschen sind schnell bereit, den Glauben an eine Vervollkommnung des Menschen als unrealistisch abzutun; aber sie erkennen nicht, dass die Verzweiflung oft genauso unrealistisch ist. Es ist einfach zu sagen: 'Der Mensch war von jeher ein Mörder.Der Mensch war von jeher ein Mörder.' Aber diese Behauptung ist nicht richtig und versäumt, die Kompliziertheit in der Geschichte der Destruktivität zu berücksichtigen.
[…]
Die in diesem Buch vertretene Position ist die eines rationalen Glaubens an die Fähigkeit des Menschen, sich aus dem scheinbar verhängnisvollen Netz der Umstände, das er selbst geschaffen hat, zu befreien.[…] Dieser humanistische Radikalismus geht an die Wurzeln und damit an die Ursachen; er versucht den Menschen von den Ketten der Illusion zu befreien.
[…]
Glauben heisst wagen, das Undenkbare denken und dennoch innerhalb der Grenzen des realistisch Möglichen zu handeln; […]
Die Situation der Menschheit ist heute zu ernst, als dass wir uns erlauben könnten, auf die Demagogen zu hören. […] Kritisches und radikales Denken wird nur dann fruchtbar sein, wenn es mit der kostbaren Eigenschaft des Menschen vereint ist – mit seiner Liebe zum Leben.