Sonntag, 20. September 2009

LUFT ZUM LEBEN -Abschied vom blauen Dunst

Einmal doch etwas Selbstdarstellung, weil ich glaube sie hat Unterhaltungswert. Zumindest für alle Sadisten unter euch.


Erwachen am frühen Morgen, aufstehen, Kaffee, Dusche, anziehen. Der letzte Blick zurück zum noch immer warmen, wohlriechenden Bett, das einen die ganze Nacht willkommen hiess. Wehmütig kommt ins Bewusstsein, dass der Tag gerade erst beginnt. Elf Stunden, bis man das Bett endlich wieder sehen wird. Automatisch laufen die ganzen bevorstehenden Strapazen wie ein Film vor dem inneren Auge ab, mit jedem Bild resigniert man ein bisschen mehr, klammert sich sehnsüchtig an die letzten Erinnerungen kurz vor dem Eindösen, als das Jetzt noch so fern war. An solchen Tagen, die sich im Winter häufen, trample und trotze ich hoch zur Bushaltestelle und zünde eine zünftige Zigarette an. Rauchen bedeutet Schlaf.
Für einen Moment nebelt der blaue Dunst mich ein, schliesst mich ab von der Aussenwelt, flösst das letzte bisschen Trotz in mich hinein, um dem Gräuel zu begegnen, von Angesicht zu Angesicht. Die Zeit bis zum nächsten Lichtblick rast schlagartige neun Stunden auf mich zu -denn die nächste Zigarette kommt bald.

So geht es mit vielen Momenten im Tag, einigen Abschnitten im Leben und wenige Augenblicke in der Nacht, Zeitspannen in denen ich froh bin zu rauchen. Wäre Zeit und Geld ausreichend vorhanden, würde ich es ununterbrochen tun, liesse weder Hand noch Mund davon. Weil man dem Rauchen unentwegt bedarf, wird jede Zigarette, der einen Moment der Entbehrung voraus ging, sei er auch noch so kurz gewesen, als eine Befriedigung eines hoch aufgestauten Bedürfnisses empfunden und damit als Glück.

Glück ist aber auch, wenn die Zeit, in der der Bauch knurrt, die Spaghetti zwar kochen aber noch nicht ganz al dente sind, die Neugierde und damit die Ungeduld aufs Essen zu einer unüberwindbaren Hürde heran wachsen, durch die Zigarette davor zum Verschwinden gebracht werden kann. Rauchen heisst Essen. Wie von Zauberhand ist die endloslange Zeit, die Ungeduld und der Hunger verpufft, sobald der erste Rauch den Gaumen erreicht und ihn nährt.

Wenn nichts mehr geht, die Gedanken still liegen, die Finger wahllos über die Tastatur klappern, heisst rauchen Denken. Denken ohne rauchen ist wie der Himmel ohne Sterne, erfüllt zwar den Zweck aber ohne jeden Wert. Mitten im Dunkel der durchzechten Nacht sieht man nur das Flimmern des Bildschirms und die zarte rote Glut daneben. Die Hände rasten, mit ihnen der Kopf, der Rauch strömt in den Körper und treibt die Gedanken voran. Er jagt sie vom Gehirn durch den Bauch hinaus zu den Fingern, bis sie als schwarze Schrift verpackt auf dem Bildschirm zur Ruhe kommen und wirken.
Selbst wenn ich am Abend wach im Bett liege, was sich zu allen Jahreszeiten häuft, nicht schlafen kann, weil rotierende Gedanken mich beschleunigen wie auf einem kaputten Karussell, das bald seine Pferde zu verlieren droht, ist der Gang zur Zigarette die einzige Hoffnung. Der Rauch dringt in mich ein, umzingelt die störenden Reste des Tages und frisst sie auf. Ready to sleep? Yes I am.

Beim Besuch im Kaffee beobachtet man wie aus mehreren Ecken der blaue Dunst empor steigt, dahinter finden sich Leute unter angeregten Gesprächen verborgen oder hinter Zeitungsbergen begraben. Der Rauch legt sich vor fremden Blicken schützend um sie, jeder offene Kontakt wird durch die sanfte blaue Wand unterbunden. Für sich allein, gegen den Rest der Welt, doch was sie, die Raucher, zu verstehen geben: dieser Zustand sollte niemals enden.

Rauchen ist Nahrung für die Seele, Luft für die sekundäre Atmung. Der Körper wird lahmgelegt, die Welt zum Schweigen gebracht, man hat Raum zum Rasten. Für zehn Minuten klinke ich mich aus vom Geschehen der Welt, nehme mir Zeit und kehre in mich zurück, lasse die Seele baumeln und geniesse das Leben im Abseits, der Welt zum Trotz. Rauchen meint Fühlen.

Rast, Rebellion und Resignation vereint die Zigarette in sich. Jede bestimmt für sich selbst, welchem Zweck sie dienen soll. Denken, Essen, schlafen und fühlen, Rauchen ist Luft zum Leben.

Die genüssliche Romantik wird leider immer wieder unterbrochen von der ganzen Zeit zwischen dem grauen Nebel. Zurückgekehrt ins Diesseits, werfe ich die noch halb verwertbare Zigarette zu Boden, weil der Bus, zwar verspätet, für mich aber noch immer zu früh, in die Haltestelle einfährt, quetsche mich zwischen ebenso verschlafene Menschen und zwinge sie an meiner Raucherwelt Anteil zu nehmen. Die täglichen dreissig Minuten nach der morgendlichen Dusche sind die absolut einsamen, während denen ich niemanden durch meinen aufdringlichen, beinahe eindringlichen Rauchgestank belästige. Ironischerweise sind dies auch die einzigen dreissig Minuten, in denen ich keiner Menschenseele begegne. Die verlassene anwesende Nase, meine, ist lächerlicherweise zu unsensibel, um diese Feinheit an mein Hirn weiter zu leiten.

Es gibt Abende, da wird eine Zigarette nach der anderen reingezogen. Sie jagen die netten kleinen O2 Helferchen und machen ihnen den Gar aus. Schon lange ist jedes Bedürfnis zum Rauchen zünftig vergangen, denn das Getränk ist schon seit einigen Minuten leer, der Hals ist trocken, die Kehle schreit nach Wasser, doch der Raucher greift zur nächsten Zigarette. Weil der Weg zur Lunge langsam einem Aschenbecher gleicht, kann sie sich nicht mehr wehren, lautlos stirbt sie ab, doch der Raucher bleibt tapfer. Der Kopf registriert gegen Ende des Abends bei jedem einzelnen Zug, dass die Lunge keucht und die Zigarette nur noch ein Würgegefühl verursacht und obwohl von Genuss schon lange keine Rede mehr sein kann, nicht einmal mehr Sucht ein solch wahnsinniges Verhalten erklären kann, hält der Raucher durch, bis zum letzten Zug.

Sonntag Morgen, Stress lass nach, gelobt seist du oh Kaffee und die genüssliche Zigarette dazu. Wäre an dieser Stelle noch ein Gefühl für meine Kehle vorhanden, hätte der Blick ins Tabakreservoir sich erübrigt, um nichts mehr zu finden, denn der infektiöse Halsschmerz wäre das eindeutige Indiz dafür, dass am Samstagabend wieder einmal kein Mass besessen wurde für das was gut tut und das was nahe dem Wahnsinn grenzt. Die krümelige Leere im Zigarettenpack herrscht über mich, durchbricht die hypothetische sonntägliche Ruhe und treibt mich kilometerweit zum nächsten Kiosk. Leicht gereizt raucht sich die Zigarette vor dem Kiosk wie von selbst, denn der Hals ist nach dem nächtlichen Eklat noch immer wie betäubt und schmeckt rein gar nichts.


Zigarette –allein schon dieses abscheuliche Wort konnte ich noch nie ausstehen. Nur die Abkürzung, die einen beim Aussprechen beinahe lautmalerisch an der Zunge kratzt und würgt ist noch ekelerregender und fast schon lächerlich ist die unverbindliche Lockerheit, die in diesem Wort mitschwingen sollte.

Denn unverbindlich und locker ist die Zeit zwischen dem Rauchen nie. Ist die Zeit zu lange, quengelt es wie ein kleines Kind: „Maaamiiiii ich will, ich will und zwar jeeetzt!“ Ist die Zeit dafür zu kurz dröhnt die gefürchtete Stimme: „Jetzt warte! Du kannst nicht immer alles haben!“ Weil das Kind sich von den mahnenden Worten nur schwer beeindrucken lässt und immer lauter wird, gibt der kompromissbereite Kopf dem nervenden Geschrei, um der Ruhe Willen, nach kurzer Zeit nach. Doch sobald die Zigarette im stinkenden Aschenbecher ihre letzte Ehre findet, entlarvt sich die ersehnte Ruhe als Trugschluss, denn die Stimme donnert nun umso nachdrücklicher lauthals mit Vorwürfen. Der schlaue Kopf schwört sich einmal mehr, es beim nächsten Mal besser zu machen, um den moralischen Vorwürfen zu entgehen und die Stimme zu besänftigen.
Die Zeit zwischen dem Rauchen ist ein ständiger Machtkampf zwischen Bedürfnis und Bedenken und obwohl solange der Raucher raucht Ersteres jeden dieser Kämpfe gewinnt, werden die Bedenken immer lauter. Kein Wunder muss der Raucher sich ab und zu von diesem Stress mit einer Zigarette erholen.

Ausdünstung, Anspannung und Abhängigkeit bedeutet die Zeit zwischen der Zigarette. Jede für sich vereint alle drei dieser Laster, da gibt es keine Wahl.

Interessant ist vor allem die Vielfalt der Argumente, die der Kopf immer wieder findet, um der mahnenden Stimme zu entgehen, lustig ist, wie schnell er sein Vorsatz zur Mässigung entwerten kann, wie einfach er sein eigenes Urteil als unzurechnungsfähig erklärt, um dem Quängeln nachgeben zu dürfen. Würde die Zeit zwischen dem Rauchen sich auf ein Leben ohne funktionsfähige Lunge beschränken, könnte ich damit leben. Nicht leben kann ich aber mit der Unfreiheit, die der Wille zum Rauchen mit sich schleppt, die gedankliche Abhängigkeit ist des Rauchens wahres Laster. Wenn man als Raucher auch zwischen den einzelnen Zigaretten Luft zum Leben hätte, könnte ich wirklich atmen.

So sitze ich nun da und beende mit diesem Text auch endlich meine Zeit als Raucherin und vor allem die Zeit dazwischen. Obwohl ich mir seit dem Tag, an dem ich meine erste Zigarette mehr gekeucht als genossen habe, schwor, dieser Last so bald als möglich ein Ende zu setzten, habe ich es, abgesehen von einer längeren Abstinenzzeit, geschlagene acht Jahre für unmöglich gehalten. In einigen Stunden, genauer etwa zehn Sekunden nach meinem Erwachen, werden über meine Entschlossenheit die ersten Zweifel laut, ich werde mir vorgaukeln, dass ein Tag mehr oder weniger auch keine Welten mehr trennt, ich werde mit dem Gedanken spielen nur noch die aller letzte Zigarette zu geniessen. Nach einigen Tagen werde ich wegen meinen Aggressionsschüben beinahe resignieren, diese überstanden beginne ich die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, wieder einmal zu sehen wie es schmeckt, weil ich davon überzeugt sein werde, dass eine einige Zigarette doch gar nichts macht. Kurze Augenblicke werden auftreten, in denn ich unbewusst die Zigarette als den nächsten Lichtblick empfinde und sobald ich begreife, warum mich gerade ein so erleichterndes Gefühl gepackt hat, entpuppt sich der ersehnte Lichtblick als sadistisches Luftschloss. Vergleichbar mit den Sekunden nach dem Erwachen aus einem wunderbaren Traum, der eben nur ein Traum war. Das Problem ist nicht die körperliche Abhängigkeit, sondern die verdammte Konditionierung!
Ich bin gespannt auf die Tricks, die mein Kopf diesmal zu bieten hat, doch bin ich auch vorbereitet, meinen Kopf in den nächsten Tagen als einen fremden Auswuchs zu ignorieren.
Ja, ich werde sie vermissen, die intensiven Momente der Zweisamkeit. Doch ich weiss der Tag, auch wenn er noch mehrere Wochen entfernt ist, doch er wird kommen, der Tag, an dem das Bedürfnis nach der Zigarette schweigt und es nichts mehr zu entbehren gibt. Good luck. Ready to sleep.

2 Kommentare:

  1. Sehr schöner Text. Habe nie recht verstanden, warum Leute aufhören, zu rauchen. Nun hab ichs erlesen… Danke.

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  2. Zum Glück gabs doch etwas Selbstdarstellung, ich hab sie sehr gerne gelesen.

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