Sonntag, 22. November 2009

Mir stinkt's!

Morgens um neun steht eine alte Frau, schlecht geschätzte 80 Jahre, bei uns im Lebensmittelladen. Ich bemerke sie, weil meine Kollegin, an deren Kasse die alte Frau steht, zu würgen beginnt, das Gesicht verzieht und mich wissen lässt, obwohl allein schon ihr Ausdruck Bände spricht, dass sie sich beinahe übergeben muss. Grund: die alte Frau stinkt und zwar gewaltig. Und nicht nur das, auch ihre Haare triefen vor Fett und die Kleider scheinen seit Zeiten ungewaschen, doch die alte Frau, sie strahlt.

Ursache für den Gestank Nr.1:
Die alte Frau sieht und riecht sich selbst nicht mehr, nimmt daher nicht wahr, dass sie für ihr Umfeld solch eine Plage ist.

Ursache für den Gestank Nr.2:
Vielleicht weiss sie durchaus über ihre Ausdünstung Bescheid, ist aber körperlich nicht mehr in der Lage etwas dagegen zu unternehmen und geistig noch zu vital, um etwas dagegen machen zu lassen.

Ursache für den Gestank Nr. 3:
Unabhängig davon, warum die Frau nichts gegen ihre Ausdünstung unternimmt, ist klar, dass auch kein soziales Umfeld da ist, das dies für sie übernimmt und sie auf ihren unerträglichen Zustand aufmerksam macht. Also keine familiäre Einbindung, weder Kinder, noch Ehemann, noch Geschwister, Cousinen …, keine Kaffeklatsch-Freundinnen, kein Nachbarschaftsnetzt, keine Seniorentreffs, rein gar nichts, was sich verantwortlich fühlt, dieser alten Frau zu sagen, dass sie stinkt.

Die Vorstellung, dass sich irgendwann jedes Schwein nur noch einen solchen Scheissdreck um einen kümmert, dass man selbst zum Schwein wird, ohne es zu bemerken, ist, zumindest für mich, ganz schön beängstigend.
Die menschlichste Lösung aus diesem Desaster wäre, dass jeder einzelne wieder lernt Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen, denn wir alle sind Kinder, Neffen und Nichten, sind Nachbaren und könnten sogar Freunde sein. Die einzige Verantwortung, die wir aber heute noch tragen wollen, oder können, ist die bezahlte und so bleibt nur die Möglichkeit Sozialarbeiter für das Flicken solcher Zustände einzuspannen. Die putzen quasi den Dreck der Kapitalismusverliebten auf.

Hier eine Alternative: Es wäre zweckgemäss das Verkaufspersonal für solche Fälle zu schulen und zur Verantwortung zu ziehen, denn erstens bekommen die alles mit, da keiner ums Einkaufen kommt. Von einfachen Alkoholfahnen am frühen Morgen über blaue Flecken in Frauengesichtern oder Kinderköpfen, über Ausländerinnen, die auch nach zig Jahren noch immer einen Übersetzter für den Kaufbetrag benötigen, bis hin zu stinkenden alten Frauen und selbst mit abgewiesenen Asylsuchenden kennt sich zumindest die Migros bestens aus. Zweitens wäre dies auch eine sinnvolle Ergänzung zur Arbeit im Verkauf und schliesslich wird, wer über die Kompetenzen verfügt, einen potentiellen Dieb zu überführen, auch in der Lage sein, einer alten Frau zu vermitteln, dass sie stinkt.

Etwas weniger Arbeitsteilung dafür mehr Sinnstiftung auf mehreren Ebenen oder mehr Verpflichtung für jeden einzelnen significant caring person zu sein, was so viel heisst wie gelebte Nächstenliebe auf Postmodern und schlicht bedeutet wieder etwas mehr verantwortungsbewusste Geschwister, Kinder oder Nachbaren zu sein und vielleicht sogar Freunde zu werden. Was schlicht bedeutet sich wieder einmal über seinen Horizont hinaus zu kümmern.

Freitag, 13. November 2009

Ooohh du Fröööhlicheeeee


Die Migros macht nun offiziell, was man schon seit einiger Zeit vermuten konnte: Weihnachten ist nicht mehr länger ein Fest der Liebe, sondern das Fest der Wünsche und als ob damit Weihnachten vom Zweck nicht genug entfremdet wäre, dürfen wir diese Wünsche neuerdings auch am 26.Dezember und am 2.Januar grenzenlos befriedigen, weil jede einzelne Migros Filiale im Kanton Aargau und Solothurn an diesen Tagen geöffnet sein wird!

Die Migros erklärt, der Herr Coop sei schuld, weil der sich nicht an die getroffene Vereinbarung halte, somit sei die Migros in ihrer Opferrolle gezwungen mitzuziehen. Für ihre feiertägliche Arbeit werden die Mitarbeiter zwar dementsprechend entschädigt werden, doch ob fehlende Weihnachtserinnerungen wirklich durch Geld ersetzt werden können?
Um sachlich zu bleiben, muss ich an dieser Stelle ergänzen, dass ich weniger die armen Detailhandelsangestellten als Opfer sehe, als alle die armen Kinder, deren Eltern tatsächlich am 26.Dezember lieber einkaufen gehen, statt Besuch zu empfangen und die familiäre Zeit zu geniessen. Meine besondere Sorge geht natürlich an all jene Kinder, die an diesem Tag ihre Mutter in der Migros besuchen müssen, wenn sie etwas von ihr haben möchten.

Dennoch ist für mich durchaus nachvollziehbar, dass eine Einkaufsplanung für drei Tage in Folge einem massiven Einschnitt in die persönliche Freiheit gleichkommt und Ladenöffnungszeiten diskriminierende gesellschaftliche Strukturen darstellen, denen der Kunde sich nicht beugen darf. Und noch mehr Verständnis habe ich dafür, dass die Migros auch diesem Kundenwunsch nachkommt, da in der Tat die Möglichkeit besteht, dass die lieben Kunden sonst am Montag die Migros boykottieren und aus Trotz keine Nahrungsmittel mehr kaufen, weil sie dies schliesslich am 26.Dezember auch nicht konnten.

Kurzum: an solchen Tagen Einkaufen zu gehen offenbart, dass man entweder der sozialen Isolation entflieht, die an Weihnachten besonders schwer lastet oder dass man sich wie die Migros offiziell dazu bekennt, das Fest der Wünsche statt der Liebe zu feiern.
Ich rate davon ab, mir an diesem Tag unter die Augen zu kommen.

Montag, 2. November 2009

Wunschträume im Alter

Wunschträume im Alter stammen oft noch aus unserer Jugend, weil wir in der Zeit dazwischen vergessen haben, sie zu realisieren.



Daraus lassen sich zwei Dinge schliessen:
  1. Wunschträume sind nicht zum Realisieren gedacht, weil sie ihren Zweck (Hoffnung spenden, uns anzutreiben, Identifikation und Sinn zu stiften) auch als, oder gerade als, Phantasiegebilde erfüllen.
  2. Spätestens im Alter müssen wir an unseren Kompetenzen, ein Leben zu führen, zweifeln.

Klar ist, dass Wunschträume sicherlich auch ohne dass sie realisiert werden, einen Zweck erfüllen und uns, einfach gesagt, Gutes tun. Dennoch werden Wunschträume nicht im Bewusstsein um diesen Zweck ausgetüftelt und somit gehe ich davon aus, dass wir unsere Wunschträume gerne in die Realität übertragen würden. Warum aber reichen 40 Jahre nicht, um einen Sprung mit dem Fallschirm zu wagen, um Englisch zu lernen oder nach Paris zu reisen? Vielleicht ist es wie beim Rauchstopp: Nie scheint der Zeitpunkt zu stimmen, nie genügend Mut vorhanden zu sein, ständig sprechen irgendwelche Umstände dagegen und dennoch leben wir in der ganzjährigen Illusion, unsere Wunschträume leben zu können, wenn wir nur wollten. Nur scheinen 40 Jahre nicht zu genügen, um einmal richtig zu wollen. Passend dazu, kann man ja Aktivierung jetzt auch als Therapie geniessen, das aber gibt schon wieder mehr zu denken, als in diesen Post gehört.

So sind wir dann alt, müssen mit ansehen, wie unsere Wunschträume schon langsam am verrotten sind, lächeln etwas verlegen über uns selbst und bestärken uns in dem, was wir insgeheim schon immer gewusst haben: Nur Phantasten ergeben sich der träumerischen Magie, man selbst aber war eigentlich schon immer Vollblutrealist. Der Vollblütige begreift nur leider nicht, dass diese Überzeugung aus der mächtigsten Illusion besteht.