Samstag, 6. März 2010

Mechanisierte Phantasie


Mindestens zehn Mal musste ich heute diese abscheuliche singende Stoff-Osterente anhören, die jeden der mindestens zehn Kunden mit ihrem lächerlichen Gesang und ihren mechanischen Tanzbewegungen zwar in Entzücken zu versetzen vermochte, doch mir mit jedem mal etwas mehr Nerven frass. In der gewohnten Arbeitsroutine Zeit, um mir die folgenden Gedanken zu schenken:


Mechanisierung der Phantasie!
Jedes von sich aus tanzende, singende oder sprechende und wie von Zauberhand zum Leben erweckte Kinderspielzeug ist mehr als alles scheinbar Leblose dem Tod geweiht, herzlos, geistlos, charakterlos und humorlos, weil seine Mechanik ihm den wahren Charakter eines Spielzeugs austreibt, weil sie ihm jegliches spielerische Potential nimmt, das Potential in der kindlichen Phantasie jede denkbare - oder eben nicht nur denk- sondern auch eine nur vorstellbare- Gestalt anzunehmen, die das Kind in ein Spielzeug hinein zu zaubern vermag. Eine singende Ente wird nie zum Eroberer der Unterbettdecke-Welt, nie zum Sieger kindlicher Kriege und nie zum Entdecker ganz neuer Welten, sondern wird stetig dasselbe singende und damit nutzlose Gefiederding bleiben, das es darzustellen verpflichtet ist. Jedes solch "zum Leben erweckte" Spielzeug ist in höchstem Masse eine törichte kindliche Beleidigung!

Wen verwundert es da noch, dass die Drittklässler einer Freundin in ihren Aufsätzen mit dem Titel "mein Phantasieplanet" es gerade mal noch schaffen auf einem ganzen Planeten unbegrenzter Träume die Simpsons zu wahrem Leben zu erwecken, sich ein Haus zu bauen und dieses rundum mit Blumen zu bepflanzen! Ein grosses Pfui auf die Kommerzialisierung der Phantasie!

Es war nachts um drei im Zug, aus Zuständen flüchtend, die mir das gerade verlassene Rohstofflager als menschliche Wiederaufbereitungsanlage für den Rohstoff Mensch verkaufen wollten, als ich mich seit langem wieder einmal an die Frage wagte, wie wohl eine Welt aussehen würde, die in mir keine solche Zustände hervorriefe. Mein einziger nicht wahnsinnig phantasievoller Beschluss war, dass in dieser Welt die Menschen um diese Zeit sicherlich keine Züge bräuchten, sondern schliefen.


Jetzt, dank diesem singenden Gefieder, bin ich wenigstens um einen sinn- wenn auch nicht phantasievolleren Gedanken weiter: Es wäre eine Welt in der wenigstens unsere Kinder noch fähig wären, ihren Phantasieplaneten vollkommen neu zu kreieren. Eine Welt, in der Kinder zumindest in ihrer Phantasie sich auf einen Planeten katapultieren können, auf dem sie sich von Liane zu Liane schwingen, um den grünen Monstern unter dem Sand zu entgehen, wo die Menschen im Wasser schlafen, sich von Steinen ernähren und Fische in den Bäumen nisten. Eine Welt in der wenigstens die kindliche Phantasie noch fliegen kann.


Mit etwas poetischeren Worten:
"[… ja mit einem Blitz, der ihn besonders schön dünkte, obgleich er mehr von seinem Glanz geblendet wurde, als dass er sah, was darin vorging, hatte er diesem verdächtigen Satz noch den zweiten hinzugefügt,] dass wahrscheinlich auch Gott von seiner Welt am liebsten im Conjunctivus potentialis spreche (hic dixerit quispiam = hier könnte einer einwenden..) denn Gott macht die Welt und denkt dabei, es könnte ebensogut anders sein."


Ein Zitat aus Musils Der Mann ohne Eigenschaften, das an dieser Stelle anspornen soll, selbst einmal Gott zu spielen und sich zu überlegen, wie es ebenso gut auch anders sein könnte.

1 Kommentar:

  1. Es mag wohl durchaus stimmen, dass diese singende Ente bzw. ein x-beliebiges mechanisiertes Spielzeug, die Kinderphantasie kommerzialisiert und somit auch sich dieser bedient. Doch was ist, wen der Mensch als solches mechanisiert wird? Wem können wir noch trauen? Sind unsere Mitmenschen tatsächlich noch intelligible Wesen, oder sind sie von dem immer egoistischeren und zwanghaft individualistischem System schon so mechanisiert, dass ihre Wünsche und Bedürfnisse das Produkt einer ebenso stupiden Institution sind, wie jene Firma welche die singende Ente baute?!

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