Freitag, 10. Juli 2009

Der grausame Charakter

Ein Artikel mit dieser Überschrift erschien heute im Kulturbund des TAs. Der Soziologe, Philosoph und Politikwissenschaftler Wolfgang Sofsky beschreibt darin die Erscheinung der Grausamkeit, die für ihn kein von den historischen Umständen abhängiges Phänomen darstellt, sondern, wie könnte es auch anders sein: eine anthropologische Konstante.
Kreativität, Hochmut, Untertänigkeit (wie auch immer er dies genau meint) und Feigheit determinieren den Menschen zur grausamen Destruktivität, wobei es allein um deren Selbstzweck, also um die Freude an ihr geht, so Sofsky. Ein weiterer Abschnitt besagt jedoch:

„In der Horde fühlen sich die Feiglinge stark. Hier ersetzt brutale Körperkraft die fehlende Willenskraft. Einmal im Leben wollen sie den Festtag geniessen, da sie ihre ängstliche Existenz hinter sich gelassen haben. Sorge nach Sicherheit veranlasst auch den furchtsamen Despoten zu Akten der Barbarei.“

Zuerst einmal möchte ich vorne weg nehmen, dass ich diese Argumentationsschiene aus mehreren Gründen satt habe:
1. Den Menschen als anthropologisch destruktiv abzutun, führt zu nichts.
2. Unser aktuelles Gewaltproblem zu „lösen“, indem man es als unüberwindbar erklärt,
erscheint mir zu bequem.
3. Die Befürworter dieser Theorie bedienen sich immer denselben Beobachtungen, die schon
lange durchgekaut und wieder ausgespuckt sind, bis sie sich am Ende selber
widersprechen.

Kann es wirklich sein, dass uns der Status quo so eingenommen hat, dass wir das Bild dieser Zeit als anthropologische Konstante erklären wollen, nur um wieder Ruhe zu finden in der ganzen Aufregung und Angst? Damit wir versauern können in unserer Passivität, um unser Entsetzten in Grenzen zu halten und nicht uns selbst und unsere Zeit in Frage stellen zu müssen, damit wir der Situation mit vollkommener Gleichgültigkeit entgegnen können?

Dabei etläutert Sofsky selbst, dass der Mensch aus Suche nach Sicherheit zu dieser Grausamkeit getrieben werden kann, schrieb ein ganzes Werk über das Prinzip Sicherheit, womit die Grausamkeit nicht allein mehr Selbstzweck ist, sondern der Ausweg aus der Angst.

Beim Stichwort Sicherheit klingelts im Ohr:
Wie schon öfters landen wir bei Freud. Die Kultur als Gerüst der Sicherheit auf Kosten unserer persönlichen Freiheit und uneingeschränkten Triebbefriedigung. Wenn nun dieses Gerüst ins Wanken kommt, auf uns herab zu stürzen droht und dies, obwohl wir so viele unserer potentiellen Glücksmomente für dieses aufgegeben haben, ist es da nicht nachvollziehbar, dass Menschen grausam werden? Ja vielleicht empfindet der Mensch in gewissen Momenten der Destruktivität sogar Lust oder es scheint ihm, als öffne sich ein Ventil durch das man Dampf ablassen könnte, doch was hat sich hinter dem Ventil alles angestaut? Der Titel beschreibt das Phänomen korrekt: Es handelt sich um einen grausamen Charakter. Ein solcher aber ist, wie wir das heute verstehen, individuell, kulturell und gesellschaftlich geprägt, mit genetischen Faktoren, die dessen Enwicklung beeinflussen können. Nicht aber sehen wir einen Charakter als Produkt einer philogenetischen Entwicklung und schon gar nicht als Teil einer Konstante.

Von so vielen "natürlichen" Dingen konnten wir uns (erfolgreich) entfremden. Selbst meine Katze gibt sich mit getrockneten Crackers zufrieden, steht auf Schnüre statt Mäuse und schläft ausschliesslich auf Plüsch. Obwohl distanziert betrachtet, die Entfernung der Katze von ihrer Natur absolut grotesk und absurd ist, erreicht sie noch lange nicht den Grad der Entfremdung, welcher der Mensch erreicht hat. Alles konnten wir überwinden, nur unsere Destruktvität nicht? Für mich ist diese Argumentation schlicht zu einfach. Er zeigt eine Resigantion dem aktuellen Leben gegenüber, statt dass wir diesem den Kampf ansagen.

Hiermit die Überleitung zu einer meiner Grundfragen: Gibt es ein Leben jenseits der Sicherheit? Treffe ich dort auf das absolute Glück (Freud), das reine Chaos (Arnold Gehlen) auf das rein Gute (Rousseau) oder auf die nackte Gewalt (Hobbes) oder gar pure Grausamkeit? (Sofsky)
Ich bin dafür, es auszuprobieren.

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