Dienstag, 21. Juli 2009

literarische Texte: Sicherheit

literarische Texte: Sicherheit

,,(...) Er selber nämlich, das ist es, fühlt sich durchaus frei: wie jeder sich frei fühlt in jeder Gesellschaft, die seinen Vorteil schützt, so dass er mit ihr einverstanden ist."
Max Frisch
Tagebuch 1946-1949, S.179

,,(...) wer weiss, wo sie jetzt waren, wer weiss, ob nicht auch sie eingesehen hatten, dass man das, was man nachts redet, nur redet, weil man es am Tag nicht vollbringen kann: warscheinlich hatte jeder Einzelne den gleichen Verrat begangen wie er, jeder für sich still und praktisch, einen Messerschnitt, mit dem die Vernunft die Jugend abtrennte vom Leib seines Leben, so dass sie zurückblieb, sich auflöste und Erinnerung wurde, Traumnahrung für ein ganzes Leben."
Martin Walser
Ehen in Philippsburg, S.62

Montag, 20. Juli 2009

culture guide: Spiegel Spezial

Krisenkinder: Eine Generation, die keine sein will.
Krisenkinder, Pragmatiker, Praktikums Generation ohne Zukunftsaussicht, am Rande der Verzweiflung, nahe des Absprungs -der Letzte.

Keine Worte konnten bis anhin unsere Generation so treffend beschreiben. Der Artikel lässt Hoffnung und Zuversicht im Raum zergehen, zeigt uns, wie die Welt jenseits der Sicherheit aussieht: Wir haben sie vor uns.
Dennoch eröffnet der Artikel unserem Gefühlsbrei ein neues Potential, das der Legitimation. Wir sind Krisenkinder (Bildungskrise, Terrorkrise, Wirtschaftskrise...) und dürfen Angst haben, müssen es sogar, es wird das prägende Gefühl unseres Lebenslaufs sein. Darauf werden wir zurück blicken, wenn wir es geschafft haben - oder gescheitert sind.

Ergänzend lässt sich zum Artikel sagen, dass Angst, die die Generationen prägt durchaus keine neue Erscheinung ist, man denke an Kriegszeiten, vor allem die Zeit des Kalten Krieges zurück. Und dennoch unterscheidet sich die heutige Bedeutung der Angst zur früheren dadurch, dass nicht mehr Breschnew und Kennedy den Finger auf dem roten Knopf haben, sondern jeder selbst. Nicht die ganze Welt geht unter, sondern nur die, die nicht schwimmen können. In seiner Existenz zu scheitern: heute kein Problem mehr.


Spiegel Spezial, momentan am Kiosk für 13 Franken.

Jenseits der Sicherheit

Eigenartig
wie das Wort eigenartig
es fast als fremdartig hinstellt,
eine eigene Art zu haben.
Erich Fried

Und: das Streben (nach mehr) als anthropologische Grundkonstante? Und wenn aufgrund des Millieus nicht möglich, verschiebt sich dieses Bedürfnis in die Phantasie. Kommt überraschenderweise eine reale Möglichkeit auf, wird sie ergriffen, auch mittels Gewalt.
Und: Genügsamkeit nicht als Stillstand verstehen (logisch), aber eben doch nicht.
Und: Durch welche Gruppen entsteht eine neue Dynamik in einer Gesellschaft?
Durch die Dichter/Schriftsteller, die Werber und die Jungen. (Ergebnis einer Studie)
Bei den Intellektuellen fehlen grosse Namen, öffentliche Stellungsnahmen, die Debatte im Tagesanzeiger vor einigen Monaten zeigte, dass die meisten sich auch nicht in dieser Rolle sehen, denn: worauf mit dem Finger zeigen, dass nicht ein reines Abstraktum ist? (Konformität als Beistpiel)
Die Werber: wecken stetig neue Bedürfnisse, rein Materielle, versteht sich... Konsum, ein Mittel der Zerstreuung, gegen Langeweile, füllt die Leere, stopft das Loch...
Die Jungen: Wo sind sie? (Spiegel extra...)
Begreifen sich als Ur-individuell, waren aber wohl noch nie so homogen wie heute (Vermutung und generalisiert)

Ja, das so meine Gedanken, wie gewohnt fehlt jegliche Stringenz, aber das regt den Geist ungemein an...

Samstag, 18. Juli 2009

culture guide: Walz with Bashir

Überzeugt! Thematisiert einerseits die Absurdität des Krieges und die Verantwortung des einzelnen Soldaten, zeigt durch seine Machart vor allem aber auch den verwirrenden Charakter von Erinnerung und Traum.

Einmal mehr wirft ein Film die Frage auf: Warum Krieg?, doch Freuds Antwort ist der Überzeugung in diesem Falle machtlos. Wo die Welt als etwas vollkommen Surreales wahrgenommen wird, bleibt auch die Handlung ohne Effekt. Die Angst ist das einzige Gefühl, das bis zum Bewusstsein der Verantwortlichen durchdringt, mit Grausamkeit und Destruktivität wird es zum Schweigen gebracht.
Hat er abgedrückt? Da diese Frage offen bleibt, wird um so mehr das Zufällige der Grausamkeiten gezeigt. Weder die Vorgeschichte, noch der Charakter des Protagonisten lassen auf seine Handlungen und noch weniger auf dessen Neigungen schliessen. Etwas Verständnis kommt auf, wenn man die aktuellen Geständnisse aus dem Lande Israel hört.
Am Ende ist nur eines klar: was geschah, ist Realität und lässt sich nicht rückgängig machen. Nicht für die Menschheitsgeschichte und auch nicht für die einzelne Biographie.

Auf DVD bei mir ausleihbar.

Freitag, 10. Juli 2009

Der grausame Charakter

Ein Artikel mit dieser Überschrift erschien heute im Kulturbund des TAs. Der Soziologe, Philosoph und Politikwissenschaftler Wolfgang Sofsky beschreibt darin die Erscheinung der Grausamkeit, die für ihn kein von den historischen Umständen abhängiges Phänomen darstellt, sondern, wie könnte es auch anders sein: eine anthropologische Konstante.
Kreativität, Hochmut, Untertänigkeit (wie auch immer er dies genau meint) und Feigheit determinieren den Menschen zur grausamen Destruktivität, wobei es allein um deren Selbstzweck, also um die Freude an ihr geht, so Sofsky. Ein weiterer Abschnitt besagt jedoch:

„In der Horde fühlen sich die Feiglinge stark. Hier ersetzt brutale Körperkraft die fehlende Willenskraft. Einmal im Leben wollen sie den Festtag geniessen, da sie ihre ängstliche Existenz hinter sich gelassen haben. Sorge nach Sicherheit veranlasst auch den furchtsamen Despoten zu Akten der Barbarei.“

Zuerst einmal möchte ich vorne weg nehmen, dass ich diese Argumentationsschiene aus mehreren Gründen satt habe:
1. Den Menschen als anthropologisch destruktiv abzutun, führt zu nichts.
2. Unser aktuelles Gewaltproblem zu „lösen“, indem man es als unüberwindbar erklärt,
erscheint mir zu bequem.
3. Die Befürworter dieser Theorie bedienen sich immer denselben Beobachtungen, die schon
lange durchgekaut und wieder ausgespuckt sind, bis sie sich am Ende selber
widersprechen.

Kann es wirklich sein, dass uns der Status quo so eingenommen hat, dass wir das Bild dieser Zeit als anthropologische Konstante erklären wollen, nur um wieder Ruhe zu finden in der ganzen Aufregung und Angst? Damit wir versauern können in unserer Passivität, um unser Entsetzten in Grenzen zu halten und nicht uns selbst und unsere Zeit in Frage stellen zu müssen, damit wir der Situation mit vollkommener Gleichgültigkeit entgegnen können?

Dabei etläutert Sofsky selbst, dass der Mensch aus Suche nach Sicherheit zu dieser Grausamkeit getrieben werden kann, schrieb ein ganzes Werk über das Prinzip Sicherheit, womit die Grausamkeit nicht allein mehr Selbstzweck ist, sondern der Ausweg aus der Angst.

Beim Stichwort Sicherheit klingelts im Ohr:
Wie schon öfters landen wir bei Freud. Die Kultur als Gerüst der Sicherheit auf Kosten unserer persönlichen Freiheit und uneingeschränkten Triebbefriedigung. Wenn nun dieses Gerüst ins Wanken kommt, auf uns herab zu stürzen droht und dies, obwohl wir so viele unserer potentiellen Glücksmomente für dieses aufgegeben haben, ist es da nicht nachvollziehbar, dass Menschen grausam werden? Ja vielleicht empfindet der Mensch in gewissen Momenten der Destruktivität sogar Lust oder es scheint ihm, als öffne sich ein Ventil durch das man Dampf ablassen könnte, doch was hat sich hinter dem Ventil alles angestaut? Der Titel beschreibt das Phänomen korrekt: Es handelt sich um einen grausamen Charakter. Ein solcher aber ist, wie wir das heute verstehen, individuell, kulturell und gesellschaftlich geprägt, mit genetischen Faktoren, die dessen Enwicklung beeinflussen können. Nicht aber sehen wir einen Charakter als Produkt einer philogenetischen Entwicklung und schon gar nicht als Teil einer Konstante.

Von so vielen "natürlichen" Dingen konnten wir uns (erfolgreich) entfremden. Selbst meine Katze gibt sich mit getrockneten Crackers zufrieden, steht auf Schnüre statt Mäuse und schläft ausschliesslich auf Plüsch. Obwohl distanziert betrachtet, die Entfernung der Katze von ihrer Natur absolut grotesk und absurd ist, erreicht sie noch lange nicht den Grad der Entfremdung, welcher der Mensch erreicht hat. Alles konnten wir überwinden, nur unsere Destruktvität nicht? Für mich ist diese Argumentation schlicht zu einfach. Er zeigt eine Resigantion dem aktuellen Leben gegenüber, statt dass wir diesem den Kampf ansagen.

Hiermit die Überleitung zu einer meiner Grundfragen: Gibt es ein Leben jenseits der Sicherheit? Treffe ich dort auf das absolute Glück (Freud), das reine Chaos (Arnold Gehlen) auf das rein Gute (Rousseau) oder auf die nackte Gewalt (Hobbes) oder gar pure Grausamkeit? (Sofsky)
Ich bin dafür, es auszuprobieren.